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Neugierde, gemischt mit einem gewissen Voyeurismus, aber auch die Lust auf eine gute Party und ein Faible für Farben, Formen und Verrückte – dies sind sicherlich ein paar gute Gründe, auf einen Christopher Street Day, kurz CSD, zu kommen. Als Besucher, ja. Vor allem als Fotograf, als der man mit seiner Kamera in diesem lauten, bunten, fröhlichen Umzug wie Treibholz von einer Brandung aus irrwitzigen Kostümen, die zum Teil wahre Kunstwerke sind, umspült wird. Die Teilnehmer der Parade sind freundlich und aufgeschlossen, lassen sich gerne fotografieren und präsentieren stolz ihre Kreationen.

Die Zwanglosigkeit und ungetrübte Freude, mit der heute in aller Welt der CSDs, Gay Pride oder Mardi Gras gefeiert wird, kommt jedoch nicht von ungefähr. Ursprünglich nämlich gedenkt der CSD des ersten bekannt gewordenen Aufstands von Homosexuellen 1969 im Stonewall Inn, einer Bar in der Christopher Street im New Yorker Greenwich Village. Heute stellen die jährlich stattfindenden Events, von denen die Paraden nur ein Teil sind, sowohl Festtag als auch Gedenk- und Demonstrationstag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern dar, die hier für ihre Rechte und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung demonstrieren und feiern. Die CSDs sind also unter anderem politische Statements, die auch im 21. Jahrhundert noch große Wellen schlagen und uns, Bürger, Politiker, Kirche und Philosophen dazu auffordern, unsere herrschenden Normen und Werte zu hinterfragen und eventuell, wenn wir besonders mutig sind, neu zu bewerten.

Die wohl auffälligsten und fazinierendsten Teilnehmer jeder CSD Parade sind sicherlich die sogenannten Drag Queens, die mit ihren unglaublichen Kostümen, den halsbrecherischen Stöckelschuhen und dem divenhaften Gebaren jede ‚echte’ Lady in den Schatten stellen. Man ahnt es, wenn man einer von ihnen gegenübersteht: Drag Queens wollen keine Frauen sein, nein, sie sind höchst ironisch, selbstironisch und dabei echt witzig! Drag Queens sind Künstlerinnen in der uralten Kunst der Travestie, des sich ‚Verkleidens als Person des anderen Geschlechts’. Im aktuellen Kontext der zahllosen Debatten um jedwede Art von Sexualität und deren Rechtfertigung jedoch gewinnt die Travestie eine brisante philosophische und weltanschauliche Dimension. Mit ihrem Auftreten parodieren die Travestiekünstlerinnen nämlich die gängige, in unserer westlichen Gesellschaft akzeptierte Unterteilung in Männlein und Weiblein. Laut der amerikanischen Philosophin Judith Butler vermag es die Travestie in ihrer heutigen Form sowohl mit den binären Unterscheidungen von Geschlecht zu brechen, als auch überhaupt die Vorstellung, es gäbe ein von der Natur vorgegebenes männliches oder weibliches Geschlecht, ins Lächerliche zu ziehen (Cp. genderperformance.blogspot.de). Geschlecht, laut Butler, sei performativ, d.h. es kommt darauf an, als was ich mich gebe, was ich sein will, was ich fühle und was oder wen ich begehre. Durch die Kunst der Travestie untergraben die Drag Queens also den alten, festgelegten hegemonialen Diskurs einer  althergebrachten Geschlechterordnung an sich und demonstrieren damit letztendlich auch gegen eine Restriktion der Möglichkeiten menschlicher Identitätsfindung.

Alle Fotografien wurden mit einer Mittelformatkamera (Pentax 6x7) auf Polaroid Film aufgenommen und anschließend eingescannt.